Lodz- Das gelobte Land und das ewige Provisorium (Łódź- Ziemia Obiecana i Wieczne Prowizorium)

Adam Fularz

1. Einleitung
1.1. An der Wasserscheide
1.2. Sammelort der Industrie
1.3. Der Ausbau zur Großstadt
2. Die Jüdische Unternehmer
2.1 Kulturelle Besonderheiten
2.2 Jüdische Wirtschaftsleben
2.3 Jüdische Unternehmer in Lodz
3. Lodz- Das ewige Provisorium

Man hatte seit langem die Frage gestellt, warum ausgerechnet Lodz, das entrückte Ackerstädtchen zu eines der größten Weltzentren der Textilindustrie wurde. Die Hauptursache war die topographische Lage, genau an der Wasserscheide zwischen Oder und Weichsel. Die hügelige Landschaft und die davon kommende Wasserkraft des Flusses Jasien ermoeglichte die Entstehung der frühindustriellen Fabrikantensiedlung. Mit Rückendeckung des russischen Zaren und auf Initiative des Schriftstellers und Staatsmannes (Vojevode von Masovien) Rajmund Rembielinski begann in Lodz der planmäßige Ausbau zur Industriestadt.

Remblinski stellte fest, dass Lodz „durch seine zahlreichen Gewässer zur Anlage jeglicher Maschinen auszeichne; sie reichen für Bleichen, Mangeln und auch Spinnereien aus“. Stanislaw Staszic, polnischer Staatsminister, schrieb: „Lodz- eine kleine, hölzerne Regierungsstadt, seit zwei Jahren für verschiedene Fabriken bestimmt. Die Lage dieses Ortes ist in vieler Hinsicht besonders bemerkenswert, es liegt in seinen ganzen Umgebung am Fuße einer umfangreichen und bedeutenden Erhebung, aus der unzählige Quellen entspringen. Der Abfluss dieser Gewässer kann mit Leichtigkeit so gelenkt werden, dass fast bei eines jeden Fabrikanten Wohnung zu seinem Bedarf Wasserläufe vorbeigeführt werden können Es ist von der Natur nicht nur für Tuchfabriken, sondern mehr noch für jegliche Art von Baumwoll- und Leinunternehmungen begünstigter Platz.“ Die im Jasiental entdeckten Wasserkräfte und auf ihrer Grundlage errichteten bzw. geplanten Industrieanlagen wirkten wie eine Sensation. Sogar wurden diese Industriewunder dem Zaren Alexander von Russland gezeigt im Jahre 1825.

Das, was Lodz zu einer Großstadt gemacht hat, war die geographische Lage- genau an der Wasserscheide zwischen Oder und Weichsel. Genau hier gab es der einzige Platz, wo die Hügel und die Wasserströme so günstig verliefen. dass eine Industriestadt auswachsen könnte, um die Wasserkräfte zu benutzen. Nirgendwo anders, nur hier gab es günstigste Konditionen. Eine Art der Frühindustriestadt ist entstanden, und was bedeutend ist, die ursprüngliche Industriestadt hatte vor allem ausländische Einwohner gehabt: keine Polen, aber andere Nationalitäten, von denen die Deutschen (über 74,1 % im Jahre 1831) wichtiger Faktor der das ‚Lodzer Wunder’ bildete. Es sind die Zuwanderer aus Westen: Tuchmacher und Weber, die das deutsche Handwerk und Unternehmertum mitgebracht haben. Die Weber aus Böhmen, Sachsen, Preußen und anderen Regionen Deutschlands.

Dann kam Ludwig Geyer, der Berliner nach Lodz, um hier eine Riesenspinnerei zu errichten. Die sogenannte Weiße Fabrik wurde 1839 in Betrieb gesetzt, und dazu mit der ersten Dampfmaschine dieses Raumes. Damit hatte Lodz Anschluss an die neusten Fabrikationsmethoden und ein weiterer Kristallisationskern war geschaffen.

Der Graf Berg, am 19. November 1865 bei der Eröffnungsfeier der ersten Lodzer Bahnlinie hat seine Festrede mit folgenden Worten begonnen: "Die Stadt Lodz bildet eine interessante Erscheinung in polnischem Lande: Sie verdankt ihren Wohlstand der deutschen Industrie, dem Unternehmensgeist der Deutschen und dem deutschen Fleiße. Nächst Warschau ist Lodz die bevölkerste Stadt der Koenigreichs Polen. Sie zählt über 40000 Einwohner, darunter 2/3 Deutsche.“

Der Markt im Osten lockte. Das führte zu einer erheblichen Migrationwelle, die sehr bald die damaligen Tuchweber staedchen im damaligen Kongresspolen entstehen ließ. Privilegien und Steuervorteile ermöglichten den deutschen Webern einen guten Start. Lodz wurde zum östlichen Manchester. Der große Sog auf die Region begann, neben den deutschen Webern kamen Polnische Landbewohner, jüdische Händler und Handwerker.

Liedchen darüber waren sehr zahlreich, wandelten alle jedoch an das gleiche Thema ab: Lodz, das gelobte Land, die eitle Hoffnung auf Erfolg, „Theo, wir fahr'n nach Lodz“- war die aller Zeiten populärste Schläger über Lodz, der noch weitere Zuwanderer mit sich brach.

Die Zahl der Einwohner wuchs in erstaunlich rapidem Masse: In der Periode von 1865 bis 1914 die Zahl der Einwohner vermehrte sich über 39-malig, was ein paneuropäisches Phänomen war. Im Durchschnitt war die Lodzer Entwicklung 4-ma schneller als der anderen Großstädte der Europa.



Die Juden

Geschichte des jüdischen Volkes in Lodz ist kurz aber zugleich lebhaft und tragisch. Juden waren eine Gesellschaft, in der durch lange Jahrzehnte ein absolutes Volks- und Glaubensbekenntnis herrschte. Nur sehr wenige Juden sind in die lokalen Finanzweltkreise eingetreten oder werden große Industrieherrscher.

Seit dem II Hälfte des XIX Jhr. haben die Juden eine große Rolle in der Entwicklung der Intelligenz in Lodz gespielt. Sie dominierten Berufe wie: Rechtsanwälte, Doktoren und besonders die Kreise der Architekten.

Die Juden kamen massenhaft nach Lodz erst in den Zeiten der großen wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt, d.h. in der 30ger Jahren der 19. Jh. Die zweite große Welle folgte die Migration aus der westlichen Teilen des Russischen Reichs, ale die neue restriktive Gesetze im Jahre 1882 da eingeführt wurden, die aber das Königreich Polen nicht betroffen haben. Im Jahren 1860-1914 ist die Zahl der Lodzer Juden mehr als 20-malig angestiegen.

Seit Anfang an dominierten die Juden das ganze Handelswesen der sich rasch entwickelten Metropole. Die Rolle der Juden in der Lodzer Gesellschaft war stark, aber nicht dominant. Es gab ein Paar Gründe dafür. Die Lodzer Juden waren damals wenig expansiv. Sie waren treu an ihre ewige Sitten und Glauben, völlig untergeordnet an das Moes'sche Recht. Die entfremdeten sich von der Gesellschaft nicht nur mit traditionellen Trachten und anderen Sprache, aber auch haben sich selber von dem stadtlichen Gesellschaftsleben isoliert. Im Jahre 1825 in dem südlichen Teil der Lodzer Altstadt wurde ein Jüdisches Viertel mit administrativem Befehl errichtet. Es ist für lange 120 Jahre zum Kern der Jüdischen Lodz geworden. In diesen Stadtteil haben die Juden die ganze Zeit hindurch einen Wiederstand gegen die kulturelle und wirtschaftliche Assimilation geleistet.

Die Reaktion auf diese Verhältnisse war die gesellschaftliche Isolation von der Seite der deutsch-polnischen Bevölkerung. Man sollte immer daran denken, dass die Juden zu der Kulturkreis gehörten, der die größten Werte an das Glaubensbekenntnis legte. Freitags gab es Schabass- Kerzen in den jüdischen Häusern, am Sonnabend- Schabass- gab es kein Leben in den Gassen der jüdischen Viertel. Jom Jahwe- Göttlicher Tag war ein Tag, wo die Einwohner der jüdischen Viertel in die Synagoge eilten.

Rituelle Tierestötung, unterschiedlicher Kalender, verschiedene Familienfeiern wie Jom Kippur, Chanuki, Purim, Sukkot, Rosch und schließlich Pascha weckten bei einem positive Interesse, bei anderen jedoch Feindlichkeit und Neid. Jedoch über irgendwelchen Pogromen oder Judenverfolgung sagen die Stadt Bücher und Chroniken kein Wort. Die aus der multikulturellen Umgebung kommende Toleranz brachte ein gewisser "Oekumenismus" der Gesellschaft mit sich.

Der sich rasch entwickelte große Lodzer Industrie brauchte gute Kapitalkenntnisse, Bereitschaft um die technische Neuheiten einzuführen, das Verstehen von Nachfragemechanismen..
Die Lodzer Juden haben alle diese Aspekte des Marktes gut kennangelernt. Jedoch nur sehr wenige sind in die Plutokratie der Reichsten eingetreten. Nur Kalman Poznanski und sein Sohn, Izrael Kalmanowicz Poznanski haben gut die Erfordernissen des sich entwickelten Marktes verstanden. Damals der Anteil der Deutschen in der Lodzer Bevölkerung betrug das enorme 74 %. Die größten Lodzer Fabrikanten waren die Deutschen: Ludwig Geyer, Karol Scheibler und Traugott Grohman.

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Restriktionen erschwerten zusätzlich das Wirtschaftsleben des jüdischen Volkes. Die Vorschriften geltenden in Koenigreich Polens begrenzten die Wirtschaftsfreiheit der jüdischen Unternehmer. Die Juden durften nur in der jüdischen Viertel wohnen, und nur dort dürften Gebäuden erwerben. Die Juden dürften keine öffentliche Posten besetzen und bezahlten spezielle Zusatzsteuern. Erst im Jahre 1862 ist die Gleichbehandlung der Juden eingeführt worden, und die Speziellsteuern, Jüdische Vierteln, und sonstige Begrenzungen wurden abgeschafft.

Der Anteil der Juden betrug 1897 20,3 % aller Stadteinwohner und dieser Anteil ist bis 1914 auf 32,5 % angestiegen. Die Juden waren vor allem in den Bereichen Handwerk und Industrie (38 %), Handel und Finanzen (40 %) tätig. Nur 22,8 % der Lodzer Juden waren berufstätig, also eine arbeitende Jude hatte im Durchschnitt 4 Personen ernährt. Im Jahre 1842 die arbeitstätige bildeten nur 18 % der Population, also auf einen Arbeitstätigen gab es 5,5 Arbeitsuntätigen. Im Jahre 1861 die Arbeitstätige bildeten nur die 14,9 % der Gesamtzahl der Juden, ein Arbeitstätiger entsprach 7 Arbeitsuntätigen. Erst im Jahre 11897 ist der Anteil auf 34 % angestiegen. Im Vergleich mit polnischen Bevölkerung (45 % der Bevölkerung ist arbeitstätig) oder Deutschen (40,4 %) sind die Juden wenig arbeitsam.

Im Jahre 1821 haben die Juden 88,5 % der allen Handelsgesellschaften funktionierenden in Lodz betrieben. Später ist diese Zahl wenig züruckgegangen (auf 72 %) . Die Juden eroberten auch das Verkehrsdienstleistungen (Pferdekutschen usw.)- über 80,3 % der Arbeitstätigen dieser Branche. Die Handels- und Finanzbranchen waren meistens mit Juden besetzt, wo diese Nation 74 % der Berufstätigen ausmachte. Auch die Freie Berufe (Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten) sind in 30 % durch die Juden repräsentiert.

Gemäß der Kalender der Zeitung ‚Lodzianin’ sind im Jahre 892 auf die gesamte Zahl der 300 größeren Laden und Geschäfte 210 im jüdischen Besitz. Im Handelswesen waren die Juden in Lodz quasi Monopolisten, sie bildeten 74 % der Gesamtzahl der Händler und Kaufmänner.



Der Nobelpreisträger Wladyslaw Reymont in dem Roman „Das gelobte Land“ stellte die Jüdische Gemeinde in Lodz dar.

Der II Weltkrieg hat leider ein Ende dieser Gesellschaft gebracht. Am 8.02.1940 haben die Nazibehörden das Getto in Lodz organisiert, das zu einem gigantischen Arbeitslager für die Juden wurde. Von hier die Nazis haben die Juden in die Vernichtungslager Chelmno an Ner oder Auchwitz gebracht. Aus dem in den Innenstadtquartieren von Baluty und Radogoszcz errichtetem Ghetto, haben nur 800 der 240 000 Lodzer Juden übergelebt. Nazichef der Gov. Friedrich Uebelhoer hat entschieden über die Entstehung des Lodzer Ghettos. Auf dem Gebiet von 4 km2 hat man über 160 000 Personen eingebracht. Die deutsche Verordnung der Nazi-Polizeichefs Schaefer hat angeordnet, an die Juden, die illegal das Ghetto verlassen würden, ohne Vorwarnung zu schießen.


Ewiges Provisorium
Bis 1914 Lodz, diese halbmillionen- Einwohner zählende Metropole verfügte über keine Wasserleitung und Abwässersysteme, wie Uwe Rada berichtet. Amerika, das war in Polen schon immer eine Metapher der Hoffnung. Wie Uwe Rada entdeckt hat, in Joseph Roths Roman "Hotel Savoy", hat diese Hoffnung sogar einen Namen: Mr. Bloomfield aus New York. Seiner Rückkehr fiebert alles in Lodz entgegen. Sie ist die letzte Rettung für eine sterbende Stadt, deren Bildern Roth in der Zwischenkriegszeit das der Regenstadt hinzufügte: "Es war ein dauerhafter Regen, er hing über der Welt wie ein ewiger Vorhang. Die Menschen stießen mit den Regenschirmen zusammen und trugen hochaufgeschlagene Mantelkragen. Die Stadt bekommt an solchen Regentagen erst ihr wirkliches Gesicht. Der Regen ist ihre Uniform. Es ist eine Stadt des Regens und der Trostlosigkeit." Mr. Bloomfield kam tatsächlich, allerdings nur kurz, um das Grab seines Vaters zu besuchen. Doch die Hoffnung ist geblieben.
Zu einem der Lodzer Mythen gehört neben dem "gelobten Land", der "bösen Stadt" und dem Schmelztigel der Nationen auch das Attribut einer "Stadt der Gegensätze". Es war das unmittelbare Nebeneinander von Fabrik und Fabrikantenpalast, der bemühte Prunk der Häuser an der Piotrkowska und dem unübersehbaren Elend ihrer Hinterhöfe, das diesen Mythos nährte. Paläste, Fabriken und die Piotrkowska gibt es auch heute noch, doch die Gegensätze erweisen sich bei näherem Hinsehen als Chimäre. Mag auch die Piotrkowska wieder in neuem Glanz erstrahlen, zum Gradmesser des Kontrasts taugt sie heute so wenig wie sie es damals vermochte.
Wie Uwe Rada bemerkt hat, es ist nicht das Nebeneinander von Palast und Hinterhof was die Stadt prägt, sondern die unbestrittene Vorherrschaft des Provisoriums, dem die Piotrkowska nurmehr unwirkliche Kulisse ist. Dort, wo das wirkliche Leben spielt, in der Aleja Kosciuszki oder der Ulica Kilinskiego zum Beispiel, hat man wegen der Straßenverbreiterungen und dem Bau der Straßenbahntrassen die Vorderhäuser einfach weggerodet. Vielleicht ist das ja das eigentliche Bild von Lodz: aufgerissene, aufgelassene Höfe, obwohl auf diese Stadt keine Bombe fiel, ein ins Ocker gehendes Grau, Regen, wie ihn Joseph Roth im "Hotel Savoy" beschrieb.
Wenn die Straßenbahnräder in den Weichen gegen das Metall der Schienen kämpfen, halten die Passanten ihre Regenschirme nach unten, um sich vor dem aus den Schienen herausspritzenden Regenwasser zu schützen. Und überall dazwischen: eine nicht totzukriegende, widerstandsfähige Form städtischer Architektur. Eine Stadtlandschaft des Provisoriums.
Zygmunt Bartkiewicz schrieb zwei Jahre nach der Niederschlagung der Revolution von 1905:"Es gibt in Polen eine Stadt, die so ist: böse. Und verlogen noch dazu, denn sie ist wie in einen Trauerschleier eingehüllt und macht sich doch über den Tod lustig. Tausende Dächer hat sie aufgerichtet, hoch in den Himmel, aber unten wälzt sie sich im Blut. Aus den schlaffen Blüten der Baumwolle schöpft sie eine unbeugsame Kraft, und von totem Gold lebt sie. Ihre Verdienste verdankt sie Verbrechen."

Posted by Adam Phoo on 15:51. Filed under , , . You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0

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